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Rufzeichen „Pollution Control 497“

So jagen die Marineflieger vom Fliegerhorst Nordholz und das Havariekommando Umweltsünder aus der Luft

Ein letzter Rundgang vor dem Abflug. Kapitänleutnant Jens Backe kontrolliert die Außenhaut, die Rotoren, das Fahrwerk und das Leitwerk der Dornier 228, einer blau-weiß lackierten Propellermaschine, auf der in großen Lettern “Pollution Control” prangt. Zusammen mit Pilot Kapitänleutnant Tobias Mundt und Operator Stabsbootsmann Rayk Wilkens geht er an diesem Tag als Co-Pilot auf die Jagd nach Umweltsündern.

In ihren grünen Overalls, auf denen Patches von vergangenen NATO-Manövern, Geschwaderabzeichen und Dienstgradabzeichen prangen, könnten die drei Marineflieger auch eine Rolle in einem der Top-Gun-Filme übernehmen. “Patches sind so ein Ding bei uns Fliegern”, meint Backe und lacht.

Beim Briefing vor dem Start wird klar, das Flugwetter an diesem Tag ist “windig und turbulent” – zumindest in Nordseenähe. Die Strecke führt von Nordholz Richtung Ostsee, einmal rund um Rügen, Fehmarn und über Flensburg, Amrum und Föhr hinweg wieder zurück. Bei einer Lufttemperatur von 14 Grad und einer Wassertemperatur von 13 Grad sind die Piloten froh, sich nicht in ihre Überlebensanzüge zwängen zu müssen.

Im Auftrag des Havariekommandos in Cuxhaven betreibt das Marinefliegergeschwader 3 der Bundeswehr auf dem Fliegerhorst in Nordholz zwei sogenannte Ölflieger. Ausgestattet mit hochauflösenden Foto- und Videokameras, Radar und Infrarot sind die beiden “Dos”, wie sie die Piloten liebevoll nennen, täglich im Einsatz über Nord- und Ostsee, um Wasserverschmutzungen und ihre Verursacher aufzuspüren.

Windig und turbulent

Die Maschine war kurz vor dem Start erst vom Morgenflug über der Nordsee zurückgekehrt, die Motoren waren noch warm. Und schnell zeigt sich nach dem Abheben, was es mit “windig und turbulent” auf sich hat. Der Pilot raunte Mundt und Backe zu, dass es bockig werden könnte. Die Do mit dem Funkrufzeichen “Pollution Control 497” dreht über Cuxhaven nach Osten und fliegt ein Stück die Elbe hinauf, bevor sie bei Brunsbüttel in Richtung Ostsee abdreht. Dabei tanzt das Flugzeug auf den Böen, die mit Stärke 7 an ihr rütteln, sackt dabei in das eine oder andere Luftloch.

Für die Besatzung ist das kein Grund zur Beunruhigung. “Die Piloten vom Marinegeschwader fliegen jeden Tag, bei jedem Wetter, auch nachts, an Wochenenden und Feiertagen”, sagt Benedikt Spangardt, Sprecher des Havariekommandos in Cuxhaven. “Das ist auch im Sinne der Abschreckung, damit keiner auf die Idee kommt, beispielsweise am Sonntag Öl einzuleiten, weil sie meinen, da ist keiner unterwegs.” Der Lärm der zwei Triebwerke ist ohrenbetäubend. Die Kommunikation innerhalb der engen Maschine funktioniert nur über Noise-Cancelling-Kopfhörer und Mikrofone.

Rechtlich sind die Kontrollflüge im Bonner Abkommen und der Helsinkikonvention verankert. Beide Vertragswerke regeln den Umgang mit Verschmutzungen und deren Verfolgung in Nord- und Ostsee. Vertragsparteien sind die jeweiligen Anrainerstaaten wie Deutschland, die Niederlande, Belgien, Großbritannien, Dänemark, Schweden, Polen oder Finnland. Eine der Maßnahmen, die in beiden Abkommen festgeschrieben ist, sind die Ölüberwachungsflüge. An ihnen beteiligen sich neben den deutschen Marinefliegern auch dänische, niederländische und schwedische Maschinen. In der Nordsee gibt es Gebiete, die von Dänemark und Deutschland gemeinsam überwacht werden. “Die Einsatzgebiete überlappen sich zum Teil”, sagt Backe.

In Deutschland finden die Ölaufklärungsflüge in Zusammenarbeit zwischen dem Bundesverkehrsministerium und dem Verteidigungsministerium statt. “Die Ölaufklärung gibt es seit 30 Jahren, das Havariekommando seit 20 Jahren”, erläutert Spangardt. “Da wir keine eigenen Piloten haben, sind wir froh, dass es diese Kooperation mit der Bundeswehr gibt.” Es sei in Deutschland einzigartig, dass der Bund auf diese Weise mit den Küstenländern zusammenarbeite.

500 bis 700 Flüge im Jahr

Je näher die Do 228 der Ostsee kommt, desto besser wird das Wetter. Über Timmendorfer Strand haben die Ölflieger ihr Einsatzgebiet. Hier strahlt die Sonne, nur wenige Schönwetterwolken dekorieren den blauen Himmel. Auf der Ostsee kräuseln sich an diesem Tag nur wenige Wellen, vereinzelt sind Segelboote zu erkennen. Operator Rayk Wilkens sitzt an einer Konsole mit zwei Bildschirmen und Tastatur. Von hier aus bedient er die Sensorik und behält die Bilder des Seitenradars im Blick. Die schwarzen Geräte, die links und rechts an der Außenhülle des Flugzeugzeugs angebracht sind, erlauben ihm, in jede Richtung 40 Kilometer weit sehen zu können. “Wenn Öl im Wasser wäre, würden auch kleinste Wellen geglättet. Das wäre auf dem Radarfilm sehr genau zu sehen”, erklärt er. Eine spezielle Videokamera am Boden der Maschine nimmt Bilder so auf, dass Verschmutzungen gut zu erkennen sind. Zusätzlich zum Radarfilm kann er mithilfe von Infrarot- und UV-Sensoren die Wasseroberfläche nach Auffälligkeiten absuchen.

“Es gibt einen festgelegten Katalog, um anhand der Farben auf den Bildern festzustellen, um welche Art Verunreinigung es sich handelt”, sagt Wilkens. Außerdem bestimmten die Sensoren Größe und Dicke der Verunreinigung. Sollten sie eine eingeleitete Substanz entdecken, flögen sie die Spur entlang, um den Verursacher ausfindig zu machen. “Die merken erst, dass wir da sind, wenn wir sie überfliegen.” Die ganze Zeit über laufe die Videokamera mit und sobald der Umweltsünder entdeckt sei, machten sie Fotos vom Schiff, um so die nötigen Beweise zu sichern. Das Material gehe dann an die zuständige Polizei oder Staatsanwaltschaft, sagt Spangardt. “Die leiten dann die Verfahren ein. Wie die am Ende ausgehen, bekommen wir meist nicht mit.” Die Zahl der illegalen Einleitungen sei in den 30 Jahren, in denen das Havariekommando die Aufklärungsflüge mache, gesunken.

Die Flugrouten der Ölflieger decken dabei die Hauptschifffahrtsrouten ab. “Da ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass wir auch was finden”, erläutert Spangardt. Planmäßig sind die Marineflieger zwischen 500 und 700 Mal im Jahr für das Havariekommando im Einsatz, oft auch dreimal am Tag. 2021 haben die Crews der Ölüberwachung insgesamt 48 Verschmutzungen in Nord- und Ostsee entdeckt, 15 davon in deutschen Hoheitsgewässern.

Frachterunglück vor Amrum führte zur Gründung des Havariekommandos

Vor Binz auf Rügen demonstrieren die Piloten einen Tiefflug. Sie gehen auf knapp 500 Fuß, also 150 Meter, herunter. Die normale Flughöhe beträgt 2000 Fuß, das entspricht in etwa 700 Metern. So sei der tote Winkel des Seitenradars genau unter dem Flieger am geringsten, erzählt Operator Rayk Wilkens. Quasi auf Augenhöhe rasen sie so an den Kreidefelsen und dem Königsstuhl vorbei. Wegen solcher Ausblicke nennt Jens Backe die Ostsee-Route auch “Express-Tourismus”.

Auf dem Rückweg, der über Flensburg und die nordfriesischen Inseln Amrum und Föhr führt, macht die Do einen kleinen Umweg. Gerade sei Niedrigwasser und man könnte das Wrack der “Pallas” sehen, sagt Spangardt. Und tatsächlich taucht kurz darauf ein rostiger Rest des Holzfrachters im grauen Wasser auf, der am 29. Oktober 1998 nach einem Brand an Bord vor Amrum gestrandet war. 244 Tonnen Öl gelangten ins Wasser, verteilten sich im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer und lösten eine Umweltkatastrophe aus. Die mangelnde Koordination der Rettungskräfte führte zur Gründung des Havariekommandos, um so im Ernstfall schnell und geordnet eingreifen zu können.

Während ihres Einsatzes konnten die Ölflieger an diesem Tag keinen Umweltsünder entdecken. Dennoch werde jeder Flug dokumentiert, sagt Benedikt Spangardt. Ein Flug ohne Fund sei ein guter Flug, meint Jens Backe. Sie freuten sich aber auch, wenn sie jemanden erwischten, ergänzt Tobias Mundt. “Man entwickelt einen Jagdinstinkt. Wenn man was findet, kann man den Verursacher auf frischer Tat ertappen.”

Text: Lucas Brüggemann